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Was bedeutet "AUSÜBUNG DER HEILKUNDE"? - historische und juristische Aspekte

Das KURIERVERBOT, das von 1851 bis 1869 bestand, untersagte allen Laienbehandlerinnen* die Ausübung der Heilkunde. Die Behandlung kranker Menschen war nur Ärzten gestattet. Ich verzichte bewusst auf die weibliche Form, denn erst 1903 konnten sich die ersten Frauen nach einem hürdenreichen Studium in Deutschland niederlassen.

Am Anfang des 19. Jahrhundert führten die sich formierende Ärzteschaft und die nicht ausgebildeten Heilkundigen eine Auseinandersetzung um das Für und Wider des Kurierverbots. Auch damalige Politiker diskutierten heftig das Behandlungsmonopol. So argumentierte Bismarck: "Wem Gott die Fähigkeit zum Heilen gegeben hat, dem soll der Staat sie nicht nehmen." Die KURIERFREIHEIT wurde durch die Neufassung des § 29 der Gewerbeordnung 1869 eingeführt. Bis auf weiteres war es nun jedem gestattet, ohne Zulassung oder Nachweis einer Ausbildung, Kranke zu behandeln. Den Titel "Arzt" oder ähnlich lautende Bezeichnungen durften nur diejenigen führen, die eine Approbation oder eine entsprechende staatliche Erlaubnis besaßen. 1873 wurde diese Regelung zum Reichsgesetz. Die Anzahl der nicht approbierten Heilkundigen stieg rapide an. In den mir zur Verfügung stehenden Quellen heißt es, dass es vor dem 1. Weltkrieg in Deutschland mehr nichtärztliche Behandler als Ärzte gab, obwohl die 1883 eingeführte gesetzliche Krankenversicherung nur die Kosten einer ärztlichen Behandlung erstattete. Zur Sicherung des Berufsstandes formierten sich die "Naturheilkundler" in Natur- und Heilpraktiker-Verbänden. 1935 wurden diese Verbände durch die NSDAP aufgelöst und zum "Heilpraktikerbund Deutschland" gleichgeschaltet. In der NSDAP wurde intensiv über die Abschaffung der Kurierfreiheit diskutiert. Die nationalsozialistische Regierung wollte den Heilpraktikerberuf eigentlich abschaffen, jedoch wurde am 17.02.1939 das "GESETZ ÜBER DIE AUSÜBUNG DER HEILKUNDE OHNE BESTALLUNG" verabschiedet. Dieses Gesetz war die Voraussetzung zur Kontrolle der praktizierenden Heilpraktiker. Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt in Kraft tretenden Durchführungsverordnung wurden Heilpraktikerschulen geschlossen. Nur jeder vierte Heilpraktiker erhielt im Rahmen der Besitzstandwahrung eine Tätigkeitserlaubnis. Allen anderen Antragsstellern und voran all den zukünftigen nichtärztlichen Behandlern wurde die Erlaubnis verwehrt.

In der BRD wurde das Heilpraktikergesetz von 1939 nicht aufgehoben, aber die verfassungswidrigen Teile 1957 durch das Bundesverwaltungsgericht gestrichen. Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass das Verbot der Ausbildungsstätten und das Verbot der zukünftigen Zulassung als Heilpraktiker nicht mit der Verfassung der BRD übereinstimmen. Das Grundrecht auf Berufsfreiheit (Artikel 12 des Grundgesetzes) würde hierdurch verletzt. In der DDR wurde 1949 das Gesetz aufgehoben. Als Heilpraktikerin* zu arbeiten war nur Personen möglich, die vor Erlass dieser Anordnung eine Erlaubnis erhalten hatten. Seit der Wiedervereinigung gilt die Rechtssituation der BRD gleichermaßen für das Gebiet der ehemaligen DDR.

Heilpraktikergesetz

§ 1 (1) Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis.
(2) Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird.

Aber was bedeutet "Ausübung der Heilkunde" nun konkret?

In der heutigen Zeit tummeln sich viele im Bereich der Gesundheits-Fürsorge. Von Anti-Aging bis Wellness gibt der Markt viel her, und so kommt es immer mehr zur Verwässerung. Gesundheitspraktikerinnen, Gesundheitstrainerinnen und eine viel Zahl von kreativen Berufsbezeichnungen sind auf dem Gesundheitsmarkt zu finden. Die Vermarktung der Dienstleistung "Gesundheitsversorgung" treibt sonderliche Blüten. Aus diesem Grund wurden in Deutschland schon einige Gerichtsverfahren nach dem Heilpraktikergesetz und nach dem Gesetz über den unlauteren Wettbewerb (UWG) geführt. Es gibt einschlägige Rechtsurteile, dass AROMATHERAPIE, BACHBLÜTEN, CHIROPRAKTIK, FUSSREFLEXZONENMASSAGE, GEISTHEILUNG, REIKI, SHIATSU (die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit) heilkundliche Tätigkeiten im Sinne §1 Abs.2 des Heilpraktikergesetzes sind.
So wurde z.B. am Landgericht Koblenz in einem Verfahren am 22.11.2000 (AZ: 3HO 73/2000) einer Angeklagten untersagt, Aromatherapie, Bachblütentherapie, Fußreflexzonenmassage und Reiki anzubieten und derartige Verfahren und / oder Behandlungen durchzuführen, es sei denn, sie sei ärztlich bestallt oder im Besitz einer Erlaubnis für die Ausübung der Heilkunde gemäß §1 Heilpraktikergesetz.
Zu den Fällen erlaubnispflichtiger heilkundlicher Tätigkeiten gehören u.a. auch (Zitate aus Gerichtsurteilen)

  • Tätigkeiten, die für sich gesehen noch nicht Ausübung der Heilkunde bedeuten, jedoch Gesundheitsgefährdungen dadurch zur Folge haben können, dass rechtzeitiges Erkennen von ernsthaften Krankheiten dadurch verzögert wird (vergl. Bundesverwaltungsgericht Arztrecht 1995/48)
  • Tätigkeiten, die lediglich nach dem subjektiven Empfinden des Patienten als Heilkunde aufgefasst werden (Wunderheiler, Geistheilung, Handauflegen, Befreiung von ‚Erdstrahlen' (sog. Eindruckstheorie; BGH NJW 1978/599; Kurtenbach in Deutsches Bundesrecht I.K. 11 Seite 7)

Methoden, die in der Literatur und in der Anwendung mit Krankheiten und Leiden in Verbindung gebracht werden, und deren Wirksamkeit eine Heilung oder Linderung von Krankheiten und Leiden oder Körperschäden beim Menschen versprechen, könnten also nach § 1 des Heilpraktikergesetzes beurteilt werden.
Aus den o.g. Aspekten wird deutlich, dass eine Erlaubnis nach § 1 Heilpraktikergesetz notwendig ist, um als Behandlerin im rechtssicheren Raum in Deutschland arbeiten zu können.

Die heutige Überprüfung zum HP-Schein hat die Grundkenntnisse der allgemeinen Krankheitslehre zur Grundlage. Dies ist die Minimalvoraussetzung zum Schutz der Patientinnen, was auch im Sinne der Behandlerin sein sollte. An dieser Stelle ein vielleicht provokanter Vergleich mit dem Führerschein: Auch wenn jeder klar ist, dass ich mit dem Erwerb des Führerscheines nicht automatisch eine gute und routinierte Fahrerin bin, wird wohl niemand anzweifeln, dass das Überprüfen der Grundkenntnisse sinnvoll ist. In diesem Sinne möchte ich die Überprüfung nach dem Heilpraktikergesetz gesehen wissen. D.h. die Zulassung als Heilpraktikerin* bedeutet zwar nicht zwangsläufig "Qualität", aber sie sichert der Patientin wesentliche Voraussetzungen bei der "Gesundheits-Betreuung"

  • Sachkenntnis der allgemeinen Krankheitslehre und der Zusammenhänge von körperlichen Reaktionen auf angewandte Behandlungsmethoden
  • Absicherung der Patientin über die Berufshaftpflichtversicherung der Heilpraktikerin* bei eventuellen Behandlungsfehlern.

Dieser letztgenannte Aspekt sollte nicht unterschätzt werden, da die sog. "Gesundheitspraktikerin" ohne Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung, sich nicht nur persönlich im rechtsunsicheren Raum bewegt, sondern auch ihre "Patientin" dort zwangsläufig belassen muss.

Literaturliste:

  • Elvira Bierbach: Naturheilkunde Heute. Urban und Fischer Verlag
  • Dr. Bernhard Firgau: Rechtshandbuch für Heiler. DGH-Schriftenreihe Band 1
  • Hermine Heusler-Edenhuizen.: "Du mußt es wagen" - Lebenserinnerungen der ersten deutschen Frauenärztin, Rowohlt Verlag
  • "Wir", Organ des Berufs- und Fachverbandes "Freie Heilpraktiker e.V.", Nr. 1/01 von März 2001, Nr. 3/02 von September 2002

Links:

Autorin:
Lissy Schonauer-Schütz, Heilpraktikerin, Fachfrau für Praxisberatung des Berufsverbandes für Heilpraktikerinnen LACHESIS e.V., Akazienstr. 19, 10823 Berlin, Tel./Fax 030-7813373

Artikel erschienen im Juli 2003 in der LACHESIS-Zeitschrift Nr. 31 zum Thema "Fit in der Praxis - Praxisalltag und Regeneration"

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