Die große Unbenannte
Wer oder was ist die Vulva?
Autorin:
Mithu Sanyal, Kulturwissenschaflterin, Autorin und Jornalistin
Leseprobe aus der LACHESIS Nr. 47
Kongressdokumentation LACHESIS-Frauengesundheitskongress
2009 schrieb ich eine Kulturgeschichte der Vulva. Damals fragten mich Leute noch: Vulva, ist das ein Auto? (Oder ein Fluss in Russland) Das hat sich inzwischen geändert. Das Wort Vulva ist in den allgemeinen Sprachgebrauch eingezogen und das macht mich glücklich. Denn inzwischen passiert es mir auch seltener, dass mir Menschen Geschichten erzählen wie die eines befreundeten Journalisten, dem der Arzt bei der Ultraschalluntersuchung seiner schwangeren Frau, allen Ernstes erklärte: „Gucken Sie, da fehlt etwas. Also wird es ein Mädchen.“
Die Idee, dass das weibliche Genital einfach nur die Abwesenheit des männlichen sei, geht auf den Vater der Psychoanalyse zurück, dessen Haltung man auf die Formel bringen kann: Man nehme einen Menschen – also einen Mann – entferne den Penis und erhalte so eine Frau. Damit ist Sigmund Freud keineswegs allein. Das weibliche Geschlecht wird als Loch und Leerstelle definiert, im besten Fall fungiert es als ungenügender Penis. Das beginnt bereits bei den Bezeichnungen. Im Deutschen ist Vagina das häufigste und akzeptierteste Wort für das weibliche Genital, was medizinisch keineswegs korrekt ist. Denn Vagina bezieht sich ausschließlich auf die Körperöffnung, die das sichtbare weibliche Genital, nämlich die Vulva, mit den inneren Geschlechtsorganen wie Muttermund, Gebärmutter, Eierstöcken verbindet. Bei einem Mann verwechselt niemand den Hoden und den Penis miteinander. Das heißt nicht, dass männlich identifizierte Genitalien besser behandelt werden als weiblich identifizierte, doch hier geht es um die Vulva…
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(Ende der Leseprobe)
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