Heilkrampf
Autorin: Luisa Francia
Leseprobe aus der LACHESIS Nr. 33
Kongressdokumentation "Kompetenz in Frauenhand"
2. Frauennaturheilkundekongress in Berlin
Kann man etwas gegen Heilung einwenden? Einen gesunden Körper zu haben, inst doch erwünscht. Heilung ist das, was alle suche. Heilung ist auch ein gutes Geschäft un der Megatrend im Wellness-/Esotherik-Bereich. Was könnte ich wohl gegen Heilung haben? Gar nichts, um das schon mal vorwegzunehmen.
Ich wurde im letzten Jahr von einer Gesellschaft für Schamanismus und Heilung eingeladen, bei einer Veranstaltung mitzuwirken, in der SchamanInnen aus aller Welt ihr Wissen zusammentragen und ihre Rituale durchführen sollten. Zuerst fand ich diese Idee sehr anregend. Ich fühlte mich natürlich auch geschmeichelt, als einzige Deutsche "auserwählt" zu sein, obwohl ich weiß, dass es vollkommener Blödsinn ist, dass ich etwa Deutschlands einzig erwähnenswerte Schamanin sein soll. Ich bin ja gar keine. Ich bin eine wilde Frau, die von vielen wertvollen Verbündeten aus Natur und Umwelt lernte und dieses Wissen auch gebrauchen kann.
Je länger ich mich mit Hintergrundmaterial zu dieser Tagung, mit Schamanismus, mit früheren Veranstaltungen und Heilritualen beschäftigte, umso suspekter wurde mir der ganze Zirkus. Plötzlich tauchen in meinem Kopf die Exoten-Schauen wie die Weltausstellung bei der letzten Jahrhundertwende auf, wo Indianer und Eskimos vorgeführt, ihre Rituale bestaunt wurden. Die koreanische Schamanin auf dem Kongress in Garmisch tauchte in meinem Gedächtnis auf. Sie hatte einen Mann mit einem spektakulären und sexuell eher grenzwertigen Ritual in Trance versetzt, war dafür heftig kritisiert worden und in einem Film über Schamanismus (Aufbruch in die dritte Dimension) ziemlich heruntergeputzt worden. Auch dachte ich an eine Veranstaltung vor vielen Jahren der amerikanischen Ureinwohnerin Kayenteles. Während sie ihre Thesen entwarf, zischte eine Frau ihrer hingerissenen Freundin zu: ich sage dir das auch immer, aber von mir willst du es ja nicht akzeptieren.
Zur Heilung gehört eben auch der Heilungsauslöser, das Öffnen der Verschlüsse im eigenen Organismus, die Heilung verhindern. Und diese Öffnung wird seit Alters her eher von spektakulären Events, von "Wundern", von "Wunderheilern", von Koryphäen bewirkt, als von der Hausmeisterin, von der Nachbarin oder von einer Person, die nichts weiter mitbringt als logisches Denken, Vernunft und ein bisschen Mutterwitz. Was mir bei der Ausschreibung dieser Veranstaltung völlig fehlte, war eine kritische Einschätzung der Konsumhaltung, die die Eso-Szene den "Schamanen" und "Schamaninnen" entgegenbringt. Kein Wort darüber, dass spektakuläre Inszenierungen - eine gute Show also - verblüffende Wirkungen nur für einen kurzen Zeitraum bewirken können (und das ist immerhin weltweit hinlänglich bewiesen). Und kein Wort auch darüber, wie Menschen krank werden oder wie sie überhaupt nur gesund werden können. Ist es wirklich sinnvoll, Menschen zusammenzutrommeln und ihre diversen Wehwehchen zu bearbeiten, anstatt anzuregen, Selbstvertrauen, eine profunde Kenntnis ihres eigenen Körpers und ein gesundes Misstrauen spektakulären Heilerinnen gegenüber zu entwickeln?
Die exotische Power der eingeladenen Zauberkundigen, atemberaubende Heil-Events und eine klare Unterscheidung zwischen dem Publikum (also den Normalos) und den Schamanlnnen (also den Auserwählten) garantieren bei solchen Tagungen Massenzulauf und die eine oder andere unerwartete kurzzeitige Besserung oder Heilung eines Leidens. Philosophisch vorbereitet werden solche Wunder durch kräftiges Anpreisen des Erwünschten, "hat viele Menschen von scheinbar unheilbaren Leiden geheilt" oder "gilt als großer Schamane" oder "wird von Fachleuten als seriöser Schamane gesehen".
Nehmen wir ruhig mich zum Beispiel: Ich wurde vom Spiegel als einzig ernstzunehmende Magierin Deutschlands bezeichnet. Nur - woher will der Spiegel das wissen? Und: ist der Spiegel tatsächlich die geeignete Instanz, schamanische Brillanz zu bewerten? Und was soll das alles mir sagen? Oder gar anderen Menschen, die sich jetzt vielleicht mir ausliefern und gar nicht wissen, was für eine oberflächliche Schnepfe ich sein kann?
(...)
(Ende der Leseprobe)
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